Der Weg - wieder auf die Bühne

Es fing an, dass wir bei einem kleinen, feinen, privaten Konzert des A cappella Ensembles ArtVerwandt eingeladen waren. Die Freude am Singen und Auftreten der Gruppe ist auf mich übergesprungen. Ehrlicher Zuspruch von jemandem, die mich schon tanzen gesehen hatte, ermutigte mich, es wieder zu wagen und mich bei der "Offenen Bühne", eine Kleinkunstveranstaltung in Walldorf anzumelden.

 

Und ich sagte "JA" und dachte.. "OH JEEEE" :-).

 

Kennen Sie das Gefühl, einerseits wollen sie, andererseits wissen sie auch, was da dann auf sie zukommt? Dieses hin -und hergerissen sein zwischen wollen und sich nicht mehr trauen?

 

Beim Zeltspektakel in Walldorf im August infizierten mich noch einmal die Darstellerinnen mir Ihrer Freude am Musizieren, Tanzen und Singen. Es gab mir nochmal einen richtigen "Auftrittskick". Das Gefühl "Ja, ich möchte auch" wurde intensiver und sicherer. So, nun geht es also los, nun habe ich zugesagt, nun muss ich durch!

 

Der erste Auftritt ist bei der Seniorenherbstfeier im Harres am 22. Oktober. Was tanze ich nur? Interessanterweise kam plötzlich im Radio ganz oft das Lied "Caravans" von Mike Batt with The London Philpharmonic Orchstra. Ich sitzte dann im Auto und tanze im Kopf.. hmm.. ja.. hier könnte diese Bewegung passen.. aha.. das ist auch gut... vielleicht hat sich der oder die eine/andere amüsiert, wenn sie an der Ampel im Auto neben mir stehen und ich so in die Musik versunken bin, vor mich hinschwelge... 

 

So vergeht erst mal eine gewisse Zeit und der Termin rückt näher und näher.

 

Eine Woche vorher werde ich dann etwas nervös... durchsuche mal meine CDs nach dem Titel. Oh ja, Gott-sei-Dank, ich habe ihn! Und - siehe da, schon melden sich auch wieder die inneren Saboteure. Die intensivsten sind die "Aufschieber, die Prokrastinierer" (welch ein Wort! :-)) Dann gibt es natürlich auch noch die mentalen Kritiker, die auch noch ein bisschen intervenieren müssen.

 

Die Zeit verrinnt, aber ich habe ja noch eine Woche Zeit...da könnte ich mal noch intensiv das Bad putzen oder auf dem Dachboden etwas aufräumen... ach ja, das eine wollte ich ja auch schon so lange erledigen. Das muss nun weg bevor ich anfange zu tanzen. Okay, ich habe ja noch den ganzen Samstag zum Üben. Ein Tag vor dem Auftritt!

 

Freitag Abend, 9. Oktober: ich hole mir noch ein paar Ideen wie man mit dem Schleier tanzt aus dem Internet.

Samstag, 10. Oktober: kein Termin in meinem Kalender, nichts auf der ToDo Liste hindert mich daran, mit dem Üben anzufangen. Ich bin sogar schon früh aufgestanden.

Aber da war dann nochmal der Aufschieber in mir der noch ein bisschen Aufmerksamkeit brauchte.

Frühstücken.... etwas aufräumen ...10 Uhr ... noch etwas aufräumen... 11 Uhr.... bekomme schon wieder Hunger... esse etwas... so ein Schlückchen Espresse noch um mein Gehirn vollständig zu aktivieren...

Punkt 12 Uhr, jetzt oder nie! Innerlich sage ich mir eindringlich "ULI, FANG JETZT AN!"

In der Tat, das hat geholfen. Ich lege meine Musik auf und fange an zu tanzen. Erst mal nur die Bewegungen mit dem Schleier zur Musik. Ich versuche das eine oder andere welches ich im Internet gesehen habe, nachzutanzen. Nach und nach formt es sich zu einer Choreographie, zumindest zu einem groben Ablauf des Geschehens.

Dann möchte ich ein Trommelsolo im Anschluss tanzen. Ich suche also nun am Samstag mittag nach der Musik. Oh, hier ist sie ja schon. Wie schön. Aber wo ist denn das Video dazu damit ich mich an die Bewegungen erinnere??? Siedend heiß fällt mir ein, dass ich es gelöscht habe als ich mein altes Laptop spendete. Da war auch noch eine Software zum Brennen von CDs darauf, die ich nun auch nicht hatte...Schon wieder eine neue Hürde!

Dann muss ich halt improvisieren. So mache ich mir manchmal einfach Türen zu, um durch andere weiter zu schreiten. Ich höre die Musik an.. .versuche und stelle schnell fest, ich habe die Choreo total vergessen und mit improvisieren ist hier auch nichts, das wird zu langweilig. Also stelle ich mein Programm auf ein anderes Trommelsolo welches ich schon vor 20 Jahren gelernt habe um. Ich könnte es schon im Schlaf vortanzen. Wo ist die Musik dazu? Such... such ... such... ahhh, hier :-) und auch schon in der perfekten Version. So langsam stellt sich das Gefühl ein "Alles wird gut" :-)

 

Nach 4 Stunden üben bin ich zufrieden. Hole mein Kostüm aus dem Schrank vom Dachboden. Es ist nun auch schon fast 2 Jahre nicht mehr getragen worden. Im Laufe der Zeit lösen sich Fäden und um ein Malheur vorzubeugen, zum Beispiel dass ein Knopf am BH aufgeht, empfiehlt es sich, vor einem Auftritt diese nochmal zu kontrollieren. Meine Güte ist das ein Aufwand! Und das Kostüm passt auch noch!

Ich lege mich nun in die Badewanne und entspanne meine strapazierten Hüft- und Bauchmuskeln.

Sonntag Morgen 10. Oktober:  Maniküre, Pediküre, Nagellack... noch einmal alles durchtanzen... es klappt super!

Aber man sagt doch, wenn die Generalprobe schief läuft, dann wird der Auftritt super? Der Zweifler meldet sich wieder zu Wort, hat aber keine große Chance nun noch etwas zu bewirken. 

Sonntag mittag... ich schlüpfe in mein Kostüm, lege das Makeup auf. Das eine odere andere Schminkutensiel ist doch zu alt und wandert in den Mülleimer.

Hätte ich doch noch zum Frisör gehen sollen vor dem Auftritt??? Ach was, nun ist eh alles zu spät! Ich muss nun so tanzen, mit ergrauten Haaren.

Ich komme im Harres an, der Tontechniker macht die Musikprobe. Beide CDs laufen. Wunderbar. Wieder eine Sorge weniger. Ich gehe in meine Umkleidekabine und mache mich fertig. In wenigen Minuten ist mein Auftritt.

Ich stehe am Rande der Bühne und mein Herz klopft. Ich habe das Gefühl, es hüpft gleich aus dem Oberteil meines Kostüms! 30 Jahre Tanzerfahrung und noch immer aufgeregt. Ob das jemals aufhört?

Die Musik beginnt zu spielen, ich gehe auf die Bühne und fange an zu tanzen. Meine Händen zittern am Anfang noch, es ist noch viel Anspannung da. Sie löst sich durch die Bewegung und die Musik auf. Ich komme so richtig in Fahrt und nehme das Publikum mit. Beim Trommelsolo sind alle gebannt von dem vibrierendend Bewegungen meiner Hüften und der Beweglichkeit meines Körpers.

Unglaublich.

Nach 15 Minuten ist alles vorbei. Applaus.. eine der Seniorinnen steht auf und ruft laut "Nächstes Jahr kommen sie hoffentlich wieder! ".  Gerne!

 

Glückseelig, erschöpft und im Freudentaumel gehe ich zu meiner Umkleide, schlüpfe wieder in mein Alltagsgewand und genieße hinterher erst mal ein Stück Kuchen, eine Tasse Kaffee und natürlich die anerkennenden Worte einiger Anwesenden.

 

So, nun kann ich mich erst mal ein paar Tage entspannen. Der nächste Auftritt ist ja erst in 2 Wochen, da habe ich noch viiiiel Zeit :-) Und ich habe ja auch noch Urlaub in der Woche, somit sollten die Vorbereitungen dieses Mal entspannter sein.

 

Montag bis Freitag... ähnliches Drama wie vor dem letzten Auftritt, aber etwas abgemildert. Alles ist wichtiger als die Vorbereitung... 

 

Samstag 18.10: 

Alles ein/zweimal durchtanzen...hmmm... es klappt nicht so gut. Aber nun trifft ja die These "Generalprobe chaotisch - Auftritt super" zu. Ich bin müde. Eigentlich würde ich nun gerne einen entspannten Abend vor dem Fernseher haben...

 

Auf dem Weg nach Walldorf, fällt mir ein, "Mist, ich habe die Maske vergessen". Nicht die Schönheitsmaske, nein, die Coronamaske!

Hilfe!

Auto wenden, zurückfahren, Maske einpacken, wieder losfahren. 

 

Kurz vor 18:30 sind wir pünktlich im Pfarrzentrum St. Peter. Ich bespreche den Musikablauf mit dem Tontechniker, bekomme noch die letzten Instruktionen wo ich mich umziehen kann. Die Bühne ist nicht so groß wie im Harres. Wir schieben die Instrumente etwas zur Seite, dann sollte es schon passen.

In der Tat bete ich an solchen Tagen und bitte um Unterstützung von allen unsichtbaren Helfern, mache Übungen um mich zu Erden und zu zentrieren. Jetzt nochmal, gleich bin ich dran ...gehe auf die Bühne. Die Stimmung ist leicht und weich im Saal. Vor mir haben 2 Damen mit engelhaften Stimmen gesungen. Das Publikum ist schon mal entspannt und offen. Ich tanze und drehe mich, drehe und wirble.... bekomme selbst beim Tanzen Gänsehaut. Das Publikum ist entzückt, erstaunt, bewegt, ganz hin und weg. 

 

Ganz beseelt und erfüllt gehe ich von der Bühne und bekomme den ganzen Abend über noch zahlreiche Komplimente.

Ich habe wieder "Lunte gerochen". All die emotionalen Höhen und Tiefen in den letzten Wochen haben sich gelohnt.

 

Wo ist der nächste Auftritt? :-)

Aber diesmal ohne Dramen. Ich nehm` es mir zumindest vor. 

 

 

Kommentare: 2
  • #2

    Nora (Samstag, 06 November 2021 13:08)

    Wow - wie schön, dass du dich getraut hast! Ich freu mich so für dich, dass deine Auftritte so gut verlaufen sind! Dein „Erfahrungsbericht“ find ich echt ziemlich inspirierend und als deine Nichte bin ich echt stolz auf dich!❤️

  • #1

    Waldberg, Herbert (Donnerstag, 28 Oktober 2021 18:12)

    Hallo Uli.
    Absolut gelungen und es klingt alles sehr intensiv und ehrlich.
    Vielleicht demnächst Schriftstellerin, wenn die Knochen mal nicht mehr mitmachen?
    Aber bis dahin ist noch vvvvvvviel Zeit.
    Du fragst, wo der nächste Auftritt sei?
    Was für eine Frage..................
    Natürlich am Broadway. Unter dem geht nichts.